Wir sind heute hier unterwegs, weil wir uns mit Freiburger Orten der Repression beschäftigen wollen. Das tun wir aber nicht, weil wir das Wetter gut für eine Sightseeing Tour fanden. Wir sind hier, weil wir sichtbar machen wollen, wo der strafende Staat in Freiburg am werkeln ist. Wir machen damit eigentlich etwas traditionell linksradikales: Wir üben Kritik am Staat und seinen Institutionen.
Besonders in den 1970er und 80er Jahren feierte die Kritik der Institutionen bei uns Konjunktur. Die Kritik an Uni und Schule etwa, aber auch die an Gefängnissen und der Psychiatrie. Diese Kritik blieb damals nicht ungehört, es folgten staatliche Reformen dieser Institutionen. Viele der schlimmsten Praktiken, die auf Insass_innen der Psychiatrie oder des Gefängnisses angewandt wurden, wurden eingestellt. Vielfach verbesserten sich die Bedingungen in diesen Einrichtungen. Denen, die darin eingesperrt sind, wurden größere Freiheiten und Privilegien zugestanden. Sie wurden humaner. Zu einer Abschaffung, die die radikale Kritik dieser Institutionen immer als ultimatives Ziel gefordert hatte, kam es aber bislang noch nicht.
Außerdem haben sich die erstrittenen Verbesserungen der Bedingungen teils wieder ins Schlechtere gekehrt. Dies geschah im Zuge der Neoliberalisierung, die eine Privatisierung staatlicher Aufgaben mit sich brachte, diese Aufgaben vermehrt ökonomisierte, also noch stärker einer Verwertungslogik unterwarf. Überbelegung, Personalmangel und Zwangsarbeit, gerade im Gefängnis, sind nur drei der Folgen dieser Entwicklung. Hinzu kommt der Entwicklungsschub der Überwachungstechnologien, die besonders in den letzten zwei Jahrzehnten exponentiell an Bedeutung und Macht gewannen.
Mit all dem beschäftigen wir uns zwar – leider aber noch viel zu wenig. Vielfach liegt das daran, dass unsere Ressourcen in Anti-Repressionsarbeit gebunden sind. Wo wir eine umfassende Kritik üben sollten, sind wir gezwungen, immer wieder nur zu reagieren: auf unsere eigene Kriminalisierung, auf Einzelfälle, auf Geldmangel, auf staatliche und mediale Attacken. Kritik an den strukturellen Ursachen der Repression bleibt da oft außen vor. Sie wird verkürzt zu Phrasen wie: „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, oder „Für eine Gesellschaft ohne Knäste!“ Während an diesen Aussagen nichts auszusetzen ist, lassen sie aber natürlich viele Fragen offen und sind außerdem für die Mehrheitsgesellschaft wenig anschlussfähig. Auch wenn diese zwei Punkte zusammenhängen, wollen wir sie aber nicht vermischen und unsere Kritik deshalb entradikalisieren.
Vielmehr sollten wir emanzipatorische Antworten finden, darüber hinausweisen, was eine bürgerlich-liberale Kritik an Problemlagen formuliert. Etwa, dass das Gefängnis nicht gegen Kriminalität helfe, oder dass es zu viele Steuergelder verschlinge. Auch wenn diese Beobachtungen nicht falsch sind, weil viele ehemalige Gefangene wieder kriminell werden, Gefängnisse ein eigenes kriminelles Milieu kultivieren, und Strafmaßnahmen mehr kosten als rehabilitative, so verbleiben sie doch gedanklich in einer Welt, in der Knäste eine wichtige Institution sind.
Wir wollen Antworten auf Fragen finden wie etwa „Freiheit für alle politischen Gefangenen – ja ok, aber was ist mit dem Rest?“ oder „In einer Gesellschaft ohne Knäste, was machen wir da mit den Mördern und Vergewaltigern?“ Hier in Freiburg entstand zum schrecklichen Anlass der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau bei einem Clubbesuch eine neue Diskussion zu diesen Fragen. Und sie entstand auch, weil rassistische Projektionen von rechter wie von stadtpolitischer Seite wieder einmal von der strukturellen Ursache sexualisierter Gewalt ablenken – in dem man sich der Täter durch eine Abschiebung entledigen wollte. Antirassistische und feministische Aktivist_innen sperrten sich gegen diese rassistische Instrumentalisierung – und rückten das Thema sexualisierte Gewalt in den Fokus. Eine solche Fokusverschiebung kann uns auch helfen anzufangen Antworten auf die drängenden Fragen der Knastkritik zu finden. Vieles davon liefert uns zum Beispiel feministische Praxis und Theorie: Vom Empowerment und dem Schutz von Betroffenen, über Täterarbeit und Therapie bis hin zu den Zusammenhängen von Gewalt und Männlichkeit. Und darüber, was in unserer Gesellschaft Menschen so krank macht, dass sie übergriffig gegenüber anderen werden.
Das sind alles Themen, mit denen wir uns beschäftigen müssen, wenn wir uns dem Thema Knastkritik in seiner ganzen Komplexität widmen wollen. Nicht zu vergessen die Verknüpfungen von Knast und Staat, von Knast und rassistischem Ausschluss und Grenzregimen, und von Knast und Kapitalismus. Knastkritik ist keine isolierte Disziplin, sondern hängt mit den zentralen Fragen, die uns als Linke beschäftigen, zusammen, inklusive der Frage nach Freiheit, und damit dem Verhältnis von Individuum und Kollektiv. Lasst uns ein Revival der Knastkritik einläuten, die schon im Hier und Jetzt Lösungen findet, wie mit Gewalt und Konflikten umgegangen wird. Für die befreite Gesellschaft, in der Knäste hoffentlich überflüssig sind!