Redebeitrag Antira-Aktionstage 31.10.2015

Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen,

Demowir sind heute zusammen auf der Straße, um ein symbolisches Zeichen gegen den Rassismus in Staat und Gesellschaft zu setzen.

Rassismus hat viele Gesichter: diskriminierende Sprüche und Gesten, Polizeikontrollen aufgrund der Hautfarbe, nächtliche Abschiebungen, wöchentliche Brandanschläge, Pogrome wie in Freital und Heidenau, diskriminierende Gesetze, Essenspakte und Sammellager, die Sortierung von Menschen nach ihrer ökonomischen Nützlichkeit.

In der aktuellen Flüchtlings-Debatte wird immer wieder die Unterscheidung von Geflüchteten in zwei Gruppen vorgenommen: Auf der einen Seite die »nützlichen« gut ausgebildeten Einwanderer*innen und die » echten Kriegsflüchtlinge« aus Syrien. Auf der anderen Seite die »Wirtschaftsflüchtling« oder gar »Scheinasylanten«, die das Asylsystem »missbrauchen« würden, womit vor allem aus den Balkan-Ländern kommende Menschen gemeint sind. Diese sollen so schnell wie möglich wieder abgeschoben werden. Aber diese Unterscheidung von legitimen und nichtlegitimen Fluchtgründen ist rassistisch. Sie dient der Rechtfertigung der Diskriminierung und Abschiebung eines Großteils der Geflüchteten. In Baden-Württemberg sind das besonders Roma aus den Balkanländern, welche vor Diskriminierung und Armut fliehen und denen gerade mit den Gesetzesänderungen der letzten Wochen das Leben hier bis ins unerträgliche erschwert wird.

Nun sind sich die bürgerliche Zivilgesellschaft und alle großen Parteien inzwischen ja endlich einig, dass PEGIDA kein Gesprächspartner sein darf. Die bürgerliche Fassade, die PEGIDA sich anfangs aufgesetzt hatte, ist spätestens zur Jubiläumsdemo und Akif Pirincis mit Beifall beklatschte Rede von den Konzentrationslagern, die gerade leider still stehen, endgültig zerbröckelt. Inzwischen sind sich alle einig, dass PEGIDA keinen Platz hat in der bürgerlichen Mitte.

Offenkundig will die bürgerliche Mitte ein anderes Deutschland darstellen als das von PEGIDA. Der kurze Sommer der Willkommenskultur war eben auch eine großartige Inszenierung: Deutschland hilft Flüchtlingen, und ich war dabei! Wenn ein Zug im Münchner Hauptbahnhof ankam und von Menschen mit Blumen und Getränken begrüßt wurde, standen gleich dahinter duzende Fernsehkameras, und die BILD-Zeitung titelte „Refugees Welcome“. Das ist zunächst natürlich schön. Doch im Rückblick und unter Beachtung der Ereignisse der letzten Wochen drängt sich doch ein weiterer Gedanke auf: Dass es dieser bürgerlichen Mitte nämlich noch um etwas anderes geht, als einfach Flüchtlingen zu helfen. Es geht ihnen auch darum, einen schönen Schein zu inszenieren, ein gutes Deutschland, auf das man stolz sein kann.

Während also die linke Hälfte der bürgerlichen Mitte versucht, sich ein Deutschland zu bauen, auf das man stolz sein kann, passiert gleichzeitig im Grunde das, was PEGIDA und Co. von Anfang an wollten. Vor wenigen Wochen beschloß die ganz große Koalition aus CDU, SPD und Grünen die härtesten Asylrechtsverschärfungen seit Mitte der 90er Jahre im Schnellverfahren. Kritik konnte keinen Raum finden, unter dem Eindruck des inszenierten Notstandes musste alles ganz schnell gehen. Dieses Verfahren offenbart eine Wende zum Autoritarismus in der deutschen Politik: Nicht einmal ein offener Verfassungsbruch, der mit dem „ Asylverfahrensbeschleunigungsg esetz“ begangen wurde, spielte noch eine größere Rolle im öffentlichen Diskurs. Denn vor einem Jahr hatte das Verfassungsgericht festgelegt, dass das „menschenwürdige Existenzminimum migrationspolitisch nicht zu relativieren ist“ – genau das aber wurde vor wenigen Wochen doch beschlossen, dass nämlich Menschen, denen der deutsche Staat keinen sicheren Aufenthaltsstatus zugestehen will, in Zukunft nichteinmal dieses menschenwürdige Existenzminimum mehr zugesprochen bekommen, sondern nur einen massiv reduzierten Satz zur bloßen Sicherung des physischen Überlebens.

Was wird damit bezweckt? Man will denjenigen der Flüchtlinge, die man offenkundig nicht in Deutschland haben will, das Leben hier so schwer und unerträglich wie irgendwie möglich machen. Diese Politik wird von Grün bis CSU von allen mitgetragen.

Was heißt das für uns? Eigentlich nicht viel. Dass wir in die bürgerlichen Parteien kein Vertrauen haben dürfen, wenn es um die Solidarität mit Flüchtlingen geht, sollte uns schon lange klar sein. Doch gerade die letzten Monate machen deutlich, dass wir eben auch nicht bei der einfachen Unterstützung Geflüchteter mit Klamotten stehen bleiben dürfen. Das ist natürlich gut und wichtig, entspricht aber mehr oder weniger dem Ausmaß an Unterstützung Geflüchteter, das auch vom deutschen Staat noch goutiert wird. Alles andere dann aber nicht mehr, und gerade auf dieses andere kommt es an, wenn wir es ernst meinen mit der Solidarität mit Geflüchteten: Wir müssen dafür sorgen, dass der Widerstand gegen Abschiebungen wächst und von einer breiten Basis mitgetragen wird. Wir müssen Geflüchtete ernst nehmen in ihren Bedürfnissen und Wünschen und, wo es geht, selbstorganisierte Proteste von Geflüchteten unterstützen und in die Breite tragen. Wir müssen uns den ganzen Versuchen, Flüchtlinge aufzuteilen in „gute“ und „schlechte“ Gruppen, entschieden entgegensetzen und das auch in die Asylkreise und bürgerlichen Gruppen hineintragen. Niemand flieht ohne Grund, unsere Solidarität muss gerade auch denen gelten, die vom Staat eben nicht willkommen geheißen werden.


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