Nieder mit der Arbeit!

Redebeitrag auf der libertären 1.Mai-Demonstration 2013 in Freiburg

Nieder mit der Arbeit!

IMG_8525„Es sind die Beschäftigten, die den Wohlstand dieses Landes erarbeiten“ schreibt der DGB stolz und ruft deshalb dazu auf, heute die eigene Werktätigkeit kräftig zu feiern. In dieses Loblied auf die Arbeit stimmen dann regelmäßig auch Vertreter_innen aller anderen gesellschaftlichen Institutionen mit ein, von Kirchen über Parteien bis hin zu Unternehmerverbänden. Denn die Arbeit ist gesamtgesellschaftliches Sorgenkind.

Regelmäßig zittert die ganze Nation, wenn es um die Veröffentlichung der neuen Arbeitslosenzahlen geht und jauchzt und schluchzt um jeden Prozentpunkt. Während die einen Arbeitslosigkeit als individuelles Versagen abstempeln und arbeitslosen Menschen Faulheit und mangelnde Initiative vorwerfen, richtet sich die Wut anderer gegen Politiker und Manager, denen sie Unfähigkeit, Standortverrat oder Gewinnsucht vorwerfen.

Beiden Seiten ist gemein, dass sie sich ein hehres Leben ohne Arbeit nicht vorstellen können.
Ein Mensch, der nicht arbeitet, ist nur ein halber Mensch, vielleicht sogar ein Schwein – da ist man sich besonders in Deutschland ganz sicher, spätestens zumindest seit Martin Luther, der schrieb, dass die Arbeit zum Menschen gehöre wie zum Vogel das Fliegen. So lautet auch der gesellschaftliche Konsens, dass es besser sei irgendeine Arbeit zu haben, als keine. In ihm wird der mit der Arbeit verbundene Wahnsinn offenbar:

Es geht ganz offensichtlich nicht um die banale Weisheit, dass es für die Erfüllung gesellschaftlicher und individueller Bedürfnisse konkreter menschlicher Tätigkeit bedarf. Selbstverständlich werden die Menschen immer Häuser bauen, Kleidung und Nahrung, ebenso wie viele andere Dinge herstellen, sie werden Kinder aufziehen, Bücher schreiben, diskutieren, Gärten anlegen, Musik machen und dergleichen mehr.

Ob neoliberale Flexibilitäts-Prediger_innen oder sozial-nostalgische Gewerkschafter_innen, die sich zur industriellen Massenproduktion und Vollbeschäftigung des Fordismus zurücksehnen, wenn sie nach staatlichen Beschäftigungsprogrammen rufen: All diesen Fans der Arbeit geht es nicht darum, was getan wird, sondern dass überhaupt etwas getan wird.

Diese Erklärung abstrakter menschlicher Tätigkeit zum Selbstzweck entspricht der ebenso selbstzweckhaft organisierten kapitalistischen Wirtschaftsweise, deren Sinn nicht etwa die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse, sondern die Selbstverwertung des Werts ist. Der Grund hierfür ist jedoch nicht etwa moralisches Fehlverhalten der Produzent_innen, sondern findet sich in Privateigentum an Produktionsmitteln, sowie kapitalistischer Arbeitsteilung. Weil jede_r sich seine/ihre Bedürfnisse nur noch mittels der Produkte Anderer erfüllen kann, nehmen alle gesellschaftlichen Produkte die Form von Waren an. Das Prinzip des Warentauschs wird damit zum gesellschaftlich bestimmenden Verhältnis. Der konkrete Nutzen einer Ware ist dabei zweitrangig, solange man sie gewinnbringend veräußern und sich in der allseitigen Konkurrenz behaupten kann. Ob das zu veräußernde Gut tödliche Kriegswaffe oder leckerer Keks ist, ist dabei erst einmal egal, solange am Ende Gewinn zu erwarten ist.

Ebenso verwandelt sich damit der Zweck konkreter menschlicher Tätigkeit: Diese dient nämlich unter kapitalistischen Verhältnissen in erster Linie nicht dazu, eigene oder gemeinsame Bedürfnisse zu erfüllen, sondern besagte Waren für den Austausch zu schaffen. Gänzlich unterschiedlichem menschlichen Tun kommt in unserer Gesellschaft damit eine gemeinsame Funktion zu: nämlich warenschaffende Produktionstätigkeit zu sein – also Arbeit. Diese ist somit keine anthropologische Konstante, sondern ausschließlich der kapitalistischen Gesellschaft zu eigen.

Dass die tagtägliche, mühselige Schufterei nicht also der Erfüllung eigener oder gemeinsamer Bedürfnisse, sondern dem unstillbaren Appetit des sozialen Verhältnisses Kapital dient, äußert sich ebenso in der Sinnlosigkeit der individuellen Erwerbsbiographien. Heute an der Kasse schuften und froh sein einen Job zu haben, sinnfreie Praktika, Weiterbildungsmaßnahmen und ein anderer Job im nächsten Jahr. Die verschiedenen Beschäftigungen sind austauschbar, solange sie halbwegs erträglich und mit ausreichend Lohn zum Leben vergütet sind. Was zählt, ist sowieso nicht die konkrete Tätigkeit oder individuelle Bedürfnisse, die am Arbeitsplatz sowieso nichts zu suchen haben, sondern der stumme Zwang, überhaupt Arbeit haben zu müssen, um ein halbwegs erträgliches Leben zu führen.

Die der „Arbeit“ gegenübergestellte Sphäre ist die der „Freizeit”. Dort muss dann in kürzester Zeit alles nachgeholt werden, was auf dem Job zu kurz gekommen ist und das wäre so einiges: Ob Erholung, Hausarbeiten, Kinder großziehen, Freundschaften pflegen, Liebesbeziehungen führen und so weiter. Das dabei aus der vorgeblichen Freizeit schnell Stress wird ist klar. In der bürgerlichen Familie wird dieses Problem dann meist mit der klassischen Geschlechtsrollenverteilung gelöst. Noch immer ist es der Mann, der für das Haupteinkommen sorgt, während die Frau sich zunehmend einer Doppelbelastung ausgesetzt sieht. Zusätzlich zum Großteil der Hausarbeit und Kindererziehung, muss sie immer häufiger Lohnarbeit nachgehen. Meistens ist dies jedoch Teilzeitarbeit bzw. eine Arbeit im Niedriglohnsektor. Patriarchat und Arbeit sind auf das Engste miteinander verknüpft!

Die ideologische Überhöhung der Arbeit als zentrales Element welches das bürgerliche Subjekt auszeichnet, enthält schon das Ressentiment gegenüber allem vermeintlich „Unproduktivem”. Schon der europäische Rassismus der Kolonialzeit klassifizierte die außerhalb Europas lebenden Menschen als “verschlagen, faul, nachlässig”, die weißen Europäer hingegen als „erfinderisch und einfallsreich”. Heute hören wir von faulen Griechen, arbeitsunwilligen Hartz-4 Empfänger_innen und asozialen Obdachlosen welche allesamt dem ehrlich arbeitenden, deutschen Steuerzahler auf der Tasche liegen würden.

Kaum ein_e Linke_r, der_die sich noch nicht auf einer Demonstration den Spruch: „Geht doch mal arbeiten!” anhören durfte. Die selbsternannte Avantgarde des deutschen Mobs – die Neonazis – nutzt diese Steilvorlage aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft, um mit gutem Gewissen „Penner klatschen” zu gehen. Sehen sie sich doch als legitime Vollstrecker des Volkszorns gegen die „Schmarotzer” an der deutschen Volksgemeinschaft.

Gleichzeitig ist die Liebe zur Arbeit leider auch großen Teilen der politischen Linken nicht unbekannt. „Die Müßiggänger schiebt beiseite” tönt es im allseits bekannten Kampflied und auch die Symbolik der traditionellen Arbeiterbewegung war voll mit kraftstrotzenden, produktiven Hammer-und-Sichel Proleten. Ein Leben jenseits des selbstzweckhaften Arbeitsethos der kapitalistischen Gesellschaft schien erstaunlicherweise selbst ihren schärfsten Kritiker_innen immer schon schwer vorzustellen. In dem kläglichen Rufen von Gewerkschaften und reformistischen Parteien nach „Beschäftigung”, das in seiner Inhaltsleere klingt, als ginge es nicht um die menschliche Gesellschaft und konkrete Bedürfnisse, sondern um eine Kindergartengruppe, die man halt „irgendwie beschäftigen muss”, hat dieses Problem Bestand.

„Beschäftigung” – wozu, wenn man fragen darf?

Dabei ist es doch eher so das mit der sich immens weiterentwickelten Technik (Automatisierung, Mikroelektronik) der Bedarf an menschlichen Arbeitskräften eher sinkt als steigt. Und dies ist kein Grund zur Trauer, sondern vielmehr zu Freude.
Das Problem ist nicht, dass die Arbeit knapp wird. Das Problem ist, dass eine solche eigentlich doch begrüßenswerte Entwicklung zu Armut, Elend und Verzweiflung, statt zu menschlicher Befreiung führt. Die Produktivkräfte sind hinreichend entwickelt, um bei minimalem Arbeitsaufwand eine Versorgung der Menschheit zu garantieren.
Notwendig dafür ist aber, dass wir die Abwicklung gesellschaftlich notwendiger Tätigkeiten bewusst, selbstbestimmt und selbstverwaltet in unsere Hände nehmen. Und dies nicht für das „Höhere Wohl” eines Standorts oder für das Kapital, sondern einzig und allein zum Zwecke unserer eigenen Freiheit und Bedürfnisse.

Machen wir den 1. Mai zum Tag gegen die Arbeit!

Keinen Finger krumm für Standort und Nation! Für den libertären Kommunismus!


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