70 Menschen in Solidarität mit den Kämpfenden in Frankreich

Solidarite!Am Samstag, den 18. Juni 2016, fanden sich rund 70 Menschen auf dem Freiburger Rathausplatz zu einer Kundgebung ein, um sich mit den Kämpfen und Streiks in Frankreich solidarisch zu zeigen. In Frankreich versucht die sozialdemokratische Regierung derzeit, ein neues Arbeitsgesetz durchzusetzen. Offizielles Ziel ist, mit den Reformen die Konkurrenzfähigkeit des französischen Kapitals zu verbessern, real werden die geplanten Änderungen aber die Situation der Lohnabhängigen entschieden verschlechtern. Dazu zählen die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit, Lockerung des Kündigungsschutzes für Jugendliche und, die Hauptforderung der französischen Unternehmen, eine Aufhebung der Tarifbindung. Insbesondere gegen die letztgenannte Maßnahme richtet sich der gewerkschaftliche Widerstand. Seit März demonstrieren mehrere hunderttausend Menschen regelmäßig gegen das geplante Gesetz, in vielen Branchen wurde und wird gestreikt und es kam zu Blockadeaktionen und Besetzungen.

Mehrere Redebeiträge der beteiligten Freiburger Gruppen zeigten auf, wie wichtig es in der aktuellen Situation ist, sich mit den Kämpfenden in Frankreich solidarisch zu zeigen. Es wurde darauf hingewiesen, dass vieles, was gerade in Frankreich passiert, auch als Reaktion auf die Durchsetzung der Agenda 2010 in Deutschland zu verstehen ist. Es bestand Einigkeit, dass es nun umso wichtiger ist, die Lohnabhängigen hierzulande aufzurufen, sich nicht alle Zumutungen von Seiten der Regierung und den Unternehmen gefallen zu lassen und stattdessen eine kämpferische Position einzunehmen. Die fortwährenden Angriffe auf die Rechte und Interessen der Arbeitenden könnten nur mit einer solidarischen und unversöhnlichen Organisierung der Betroffenen abgewehrt werden. Dazu gelte es auch, sich der nationalistischen Illusion einer Interessengleichheit von Unternehmer_innen und Arbeiter_innen zu verwehren.

Hier unser Redebeitrag (auch als druckbare PDF) :

Solidarität mit den Kämpfenden in Frankreich!

Non à la loi travail – Nein zum Arbeitsgesetz!

Seit März reißt der Widerstand in Frankreich gegen das geplante neue Arbeitsgesetz nicht ab: Es gibt unzählige Massendemonstrationen, Kämpfe mit der Bereitschaftspolizei, Sabotageaktionen, symbolische Sachbeschädigungen, Schul- und Universitätsblockaden, Haus- und Platzbesetzungen (nuit debout). In vielen Sektoren der französischen Wirtschaft wird gestreikt. Die Bewegung ist von verschiedenen Schichten getragen: Beschäftigte, Erwerbslose, Gewerkschafter_innen, Aktivist_innen linker Organisationen, Schüler_innen, Student_innen und Rentner_innen. Laut einer aktuellen Umfrage lehnen über 70% der französischen Bevölkerung das geplante Gesetz ab. Besonders bei den Wähler_innen der regierenden sozialistischen Partei ist die Enttäuschung über den unnachgiebigen Kurs der Regierung groß. Doch warum ist die französische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gegen das geplante neue Arbeitsgesetz?

Ein Angriff auf alle Lohnabhängigen

Im wesentlichen will die Regierung den französischen Unternehmern ermöglichen, ihre Profite zu steigern und sich gegen ihre nationalen wie internationalen Konkurrenten durchzusetzen. Es handelt sich um einen Klassenkonflikt zwischen Lohnabhängigen und Unternehmen; das loi travail soll die Position der letzteren entschieden stärken. Das geplante Gesetz bringt für die Beschäftigten und ihre Gewerkschaften eine Reihe gravierender Nachteile. Drei Beispiele aus der Vielzahl an Zumutungen: Zukünftig könnten Unternehmen ihren Haustarif gegen andere Regelungen im Arbeitsgesetz oder der Branche durchsetzen, was sich zum Nachteil der Beschäftigen auswirken wird und erkämpfte Branchentarife nichtig macht. Wenn ein Einzelunternehmen den Konkurrenten der gleichen Branche Marktanteile abnehmen will, können nach dem geplanten Gesetz die Beschäftigten zu unbezahlter Mehrarbeit verpflichtet werden – bis zu 60 Stunden pro Woche. Schließlich soll der Kündigungsschutz für die Jugendlichen gelockert werden – ähnliche Pläne konnten 2006 noch von einer Massenbewegung gestoppt werden.

Die Beispiele zeigen, dass die Beschäftigten verschiedener Unternehmen in einen zunehmenden Konkurrenzkampf gezwungen würden. Dadurch werden die Gewerkschaften aktiv bekämpft, denn diese können nur dann Siege erringen, wenn es gelingt, die Konkurrenz unter den Beschäftigten zurückzudrängen und stattdessen gemeinsame Forderungen gegen die Unternehmen durchzusetzen. Neoliberale Vereinzelungspolitik par excellence.

Vorbild Agenda 2010?

Im Rahmen der „Agenda 2010“ haben sich deutsche Unternehmer durch Sozialabbau und Lohndumping einen Konkurrenzvorsprung verschafft, der nun das französische Kapital und damit die französische Regierung unter Druck setzt. Jetzt wird die Abwärtsspirale in Frankreich ein Stück weiter gedreht. Während jedoch in Deutschland die Proteste gegen Hartz IV keinen nennenswerten Widerstand entfalten konnten, wird der Abwehrkampf gegen den Angriff auf die Rechte der Lohnabhängigen in Frankreich viel heftiger geführt.

Der Widerstand

Es gibt große Streiks bei der Eisenbahn und den Raffinerien, Hafenarbeiter_innen und Arbeiter_innen der Müllabfuhr blockieren ihre Arbeitsplätze und Depots. Aktivisten und Streikende blockieren wichtige Infrastruktur wie Treibstoffdepots, Autobahnen und Bahnhöfe. Beschäftigte des französischen Stromversorgers EDF drehten an Wohnsitzen prominenter Politiker gezielt den Saft ab und sorgten dafür, dass für 800.000 bis 1,1 Millionen Haushalte der Strom vorübergehend zum günstigeren Nachttarif geliefert wurde. 450 bis 500 gleichzeitig stattfindende soziale Konflikte und Arbeitskämpfe zählte der linke Arbeitsrechtler und Regierungskritiker Gérard Filoche. Von Amazon über McDonald’s bis zu den Fluglotsen und den Bahnbeschäftigten reichen die Kämpfe.

In Frankreich werden bei Streiks, die sich gegen eine drastische Verschlechterung für alle Lohnabhängigen richten, zugleich unternehmens- und branchenspezifische Forderungen erhoben. Der Druck auf die Regierung resultiert nicht daraus, dass alle Forderungen allein an sie gerichtet wären, sondern aus dem gleichzeitigen Stattfinden von Arbeitskämpfen in den unterschiedlichen Sektoren. Zusätzlich soll mit Blockaden die für das Kapital essentiellen Mehrwertproduktion unterbrochen und so der ökonomische Schaden und mit ihm der Druck auf die Regierung erhöht werden.

Die Reaktion des Staates

Der Staat antwortet auf die sozialen Proteste mit aller Härte und nutzt die seit den islamistischen Terroranschlägen im letzten November verhängte Notstandsverordnung für verstärkte Repression und zur Legitimierung von Polizeigewalt. In verschiedenen Städten kommt es inzwischen auch zu Einsätzen des Militärs zur Verhinderung von Demonstrationen. Auf rechtlicher Ebene gibt es Demonstrationsverbote, monatelange Haftstrafen, Hausarrest und Meldepflicht für Aktivist_innen. Die Polizei verwendet ihr ganzes Arsenal an sogenannten „nicht-tödlichen Waffen“: Knüppel, Wasserwerfer, Tränengas, Gummigeschosse und Schock-Granaten. Die Folge der exzessiven Polizeigewalt: Bis heute über 1000 Verletzte. Ein 28jähriger Fotograf in Paris, der mutmaßlich durch den Splitter einer Polizeigranate an der Schläfe getroffen wurde, lag tagelang im Koma, wie auch ein Streikposten der CGT aus dem südfranzösischen Fos-sur-Mer.

Teilerfolge und Befriedungstaktiken

Die Regierung rückt bislang trotz alledem nicht von den Plänen ab, Premier Manuel Valls will das Gesetz in autoritärer Manier durchdrücken – unter zuhilfenahme des Paragraphen 49.3 der französischen Verfassung, der es der Regierung ermöglicht, ein Gesetz ohne Parlamentsdiskussion zu verabschieden, solange sie nicht durch ein Vertrauensvotum daran gehindert wird. Als Befriedigungsstrategie versucht die Regierung derzeit, durch gewisse Zugeständnisse an einzelne Branchen den Widerstand zu schwächen.

So konnten gewisse Teilerfolge errungen werden: Der Stellenabbau bei den Fluglotsen wurde gestrichen, die Kürzung von Ruhetagen bei den Bahnangestellten sind vom Tisch, die geplanten Kürzung des Forschungsetats wurde zurückgenommen, die Kürzung der vom Staat an die Kommunen zurück verteilten Finanzmittel und die Einsparungen im Bildungsbereich wird es nicht geben und die geplante Ausweitung und „Flexibilisierung“ der wöchentlichen Arbeitszeiten bei LKW-Fahrer_innen wurde zurückgenommen. Den Lehrer_innen gelang es sogar eine Lohnerhöhung durchzusetzen. Freiberufliche Kulturarbeiter_innen, die sogenannten intermittents du spectacle, konnten die geplante Streichung der Arbeitslosenhilfe, die ihnen in der Zeit zwischen zwei verschiedenen Engagements zusteht, abwenden.

Es bleibt zu hoffen, dass sich nicht einzelne Branchen oder Gewerkschaftsverbände zufrieden geben und von weiterem Widerstand absehen. Die Großmobilisierungen der letzen Woche stimmen jedeoch hoffnungsvoll.

Antirassismus und Kampf gegen Rechts

Schließlich spielt auch seit Beginn der Proteste die Solidarität mit Geflüchteten eine wichtige Rolle. In Paris z.B. mobilisierten Initiativen zur Unterstützung der Bewohner_innen der illegalen Camps bei Calais. Dieser breit verankerte Antirassismus war mit ein Grund, warum es von rechter Seite misslang, die Proteste für sich zu vereinnahmen. Obwohl einzelne rechte Gruppierungen versuchten, die Proteste populistisch für sich zu nutzen, steht die französische Rechte mehrheitlich auf der Seite der Regierung. Die massiven Kämpfe entlarven so auch die soziale Demagogie des Front National: Stellten sich die Rechten in der Vergangenheit häufig als „Verteidiger des kleinen Mannes“ dar, fordern sie nun ein Verbot aller Demonstrationen gegen das Arbeitsgesetz – der Front National zeigt sich offen als zutiefst neoliberal und antigewerkschaftlich.

Und was passiert hier?

Wir denken: Es kommt darauf an, auch hier in Deutschland eine kämpferische Position einzunehmen. Wir müssen die nationale Nestwärme stören, unter der deutsche Lohnabhängige allzu häufig sich auf die Illusion einlassen, dass es ihrem Vorteil diene, wenn sie in gut sozialpartnerschaftlicher Manier die Angriffe auf ihre Rechte und Interessen als vermeintlich notwendig akzeptieren und mittragen. Gerade im Zuge der Europameisterschaft werden in Deutschland die sozialen Kämpfe in Frankreich häufig als bloßer Störfaktor gesehen und ein nationaler Zusammenhalt herbeigeschrieben, der aber immer nur dem Interesse des Kapitals dient!

Während sich überall auf der Welt (u.a. in Spanien, Italien, Brasilien, Schweiz, USA und in Belgien) Arbeiter_innen in Solidarität mit der Streikbewegung üben, ist aus Deutschland wenig zu hören – von Seiten des DGB nichtmal eine klare Unterstützungserklärung. Einige erfreuliche Ausnahmen gibt es doch, manche Gewerkschaftsgruppen verfassten Solidaritätserklärungen und es kam zu kleineren Kundgebungen und Aktionen, beispielsweise entrollten am 14. Juni Arbeiter_innen des Mercedes-Werks in Bremen ein zweisprachiges Transparent mit der Botschaft “Wir grüßen die Französischen Arbeiter im Streik gegen die deutschen Verhältnisse.” Was wir Aktive an der Basis zumindest tun sollten, ist den streikenden französischen Kolleg_innen eine Geste der Solidarität zukommen zu lassen. Sei es eine Kundgebung, ein Angriff auf die Symbole des Staates oder das Sammeln von Geld für die Streikkassen.

Wenn die Herrschenden in Frankreich das „Deutsche Modell“ einführen wollen, dann sollten die Beherrschten in Deutschland ihnen mit „französischen Verhältnissen“ antworten!

Hoch die antinationale Solidarität! Solidarität mit den Kämpfenden in Frankreich!


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