Redebeitrag auf der Silvester-Demonstration 2013 in Freiburg
Hallo liebe Mitdemonstranten und Demonstrantinnen, Hallo liebe Gefangene, Hallo Thomas,
Ich hoffe ihr könnt uns innerhalb dieser hohen Mauern hören. Wir stehen heute hier um unsere Solidarität mit euch zu bekunden. Das scheint nicht selbstverständlich und bedarf einige Worte der Erklärung, denn für den größten Teil dieser Gesellschaft seid ihr Abschaum, Kriminelle, Verbrecher, welche es aufgrund ihrer Taten verdient haben hinter Gittern zu sitzen, manche – so hört man es von den Stammtischen her rufen – sollen für ihre schrecklichen Taten gar bis an ihr Lebensende hinter diesen Mauer schmoren.
Also warum stehen wir hier und rufen euch in Solidarität zu? Wir – die Chaoten, die Randalierer, der schwarze Block – so wie wir in den Medien immer wieder bezeichnet werden, warum ausgerechnet wir?
Es hat auf der einen Seite wohl etwas damit zu tun, dass uns Linke und Anarchist*innen – so bezeichnen wir uns im Übrigen selbst – für unser politisches Engagement schon immer der Knast drohte. Ob wir nun versuchen Castortransporte zu blockieren, Neonazi-Demos zu verhindern oder unsere Räume wie die Rote Flora in Hamburg zu verteidigen. Oft werden unsere politischen Aktionen kriminalisiert und wir linke Aktivist*innen sehen uns Geld oder Freiheitsstrafen gegenüber.
Unser Genosse Thomas sitzt zum Beispiel hier in der JVA Freiburg, nachdem er versuchte mit einem Banküberfall Geld für linke Projekte zu beschaffen. Der Staat steckte ihn dafür in Isolationshaft und nun – weil er seinen Idealen nicht abschwört – in Sicherungsverwahrung.
Deshalb stehen wir heute hier und fordern die Freiheit für alle politischen Gefangenen wie Thomas!
Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass wir Feinde dieser Gesellschaft sind, Feinde des Staates, Feinde des Kapitalismus und Feinde der Herrschaft von Menschen über Menschen.
Jene welche von diesem System profitieren rufen uns unablässig zu: Aber die Menschen sind doch vor dem Gesetz alle gleich. Jeder wird nach den gleichen Paragraphen gerichtet.
Das geben wir gerne zu: Ja, die Menschen sind vor dem Richter gleich und genau dies ist für uns das Problem: Denn wie der französische Dichter Anatole France es so unnachahmlich auf den Punkt brachte: “Unter der majestätischen Gleichheit des Gesetzes ist es Reichen wie Armen verboten unter Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.”
Die Binde der Justitia – gemeinhin das Symbol, dass das Recht ohne Ansehen der Person gesprochen wird – schlägt sie aber auch mit Blindheit und beraubt ihr einen ihrer Sinne.
Eben weil der Richter im juristischen Prozess von den konkreten Menschen absieht und sie nur als Träger abstrakter Rechte und Pflichten anschaut erhält er durch sein vordergründig unvoreingenommenes Urteil diese Klassengesellschaft. Denn wer sitzt denn im Gefängnis?
Es sind diejenigen Menschen welche aufgrund ihrer ökonomischen Lage – sie sind einfach nicht im Besitz der (Produktions)Mittel um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten – dazu gezwungen sind, das letzte ihnen verbleibendes Gut, ihre Arbeitskraft, zu Markte, sprich zur Agentur für Arbeit, zu tragen. Oft reicht der Lohn dann eben nicht für alles, Menschen sehen sich dazu gezwungen schwarz zu fahren, im Supermarkt zu klauen oder mit dem dealen illegalisierter Drogen sich ein Zubrot zu verdienen. Einige entscheiden sich dazu das Risiko der Haftstrafe einzugehen und begehen einen Raub oder einen Einbruch.
Deshalb stehen wir heute hier und fordern ebenso die Freiheit für alle sozialen Gefangenen!
Auch sogenannte Kapitalverbrechen wie Straftaten gegen das Leben oder Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind oft durch das Kapitalverhältnis oder andere Herrschaftsverhältnisse wie dem Patriarchat vermittelt.
Uns wird oft mit einiger Berechtigung entgegengehalten: „Ja aber was passiert mit den Mördern und Vergewaltigern? Zum Schutze der Gesellschaft müssen sie doch bestraft und eingesperrt werden.“
Wir müssen es schweren Herzens zugeben: Wir haben darauf keine einfache Antwort.
Wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, dass solche Taten in einer befreiten Gesellschaft nicht einfach verschwinden. Für uns steht aber fest, dass wir damit einen anderen Umgang finden müssen. Verweisen können wir hier nur auf vergangene revolutionäre Zeiten, wie die Novemberrevolution 1918 in Deutschland oder die soziale Revolution in Spanien 1936.
Wir die Kritiker und Kritikerinnen des Gefängnisses sind für die meisten nichts als unpolitische Chaoten, Spinner, im besten Fall Träumer und Utopisten. Und doch hoffen wir euch verständlich gemacht zu haben warum wir nun hier stehen.
Wir fordern keine besseren Haftbedingungen, sondern die Abschaffung dieser Gesellschaft, die Strafe und Gefängnisse nötig erscheinen lässt.
Für eine Gesellschaft ohne Knäste. Für den freiheitlichen Kommunismus!