1. Einleitung
Die junge Freiburger Studentin Maria L. wurde Mitte Oktober auf dem Heimweg von einer Party der Fachschaft Medizin vergewaltigt und ermordet. Einige Wochen später kehrte Carolin G., eine junge Frau aus Endingen bei Freiburg, von ihrer Joggingrunde nicht zurück. Auch sie wird einige Tage später tot aufgefunden und auch in diesem Fall wird festgestellt, dass sie vergewaltigt worden war.
Viele Frauen* in und um Freiburg haben seitdem noch größere Angst insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit alleine auf die Straße zu gehen. In der linken und feministischen Szene wurde nach den beiden Morden darüber diskutiert eine politische Aktion mit Bezug auf die beiden toten Frauen zu organisieren – jedoch entschied man sich aus Rücksicht auf die Wünsche der Familien der Ermordeten dagegen. Stattdessen fand am 25. November im Rahmen des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen eine von Frauen* organisierte Demonstration statt, um ein allgemeines Zeichen gegen Gewalt gegen Frauen zu setzen.
Schnell wurden auch die lokalen Rechtspopulisten auf das Thema aufmerksam: Am 4. November organisierte ein AfD-Sympathisant aus Freiburg eine „Lichterkette mit Trauerzug“, um an Maria L. „zu gedenken“. Die Aktion war nicht mit der betroffenen Familie abgesprochen. Zu dem Aufzug erscheinen ca. 30 Personen, darunter aber noch keine Aktivist_innen der AfD. Diese bemühten sich derweil, das Thema „sexuelle Belästigung deutscher Frauen durch Asylbewerber“ weiter aufzubauen. Einer gewissen Ironie entbehrt es nicht, dass sich hierbei gerade der bekennende Freiburger Antifeminist 1 Andreas Schumacher nun als Verteidiger der Frauenrechte aufspielt.
Am 3. Dezember präsentierte die Freiburger Polizei dann den mutmaßlichen Täter im Fall Maria L.: einen jungen Flüchtling aus Afghanistan. Seitdem überschlagen sich die Hass-Kommentare insbesondere in den sozialen Medien 2. Der Freiburger Ortsverband der AfD reagierte prompt: In einer Pressemitteilung bezeichneten sie Maria L. als „weiteres Opfer der Willkommenskultur“, fragten rhetorisch „wo die ganzen Linken jetzt seien“ und setzten für den 4. Dezember eine Spontankundgebung „gegen die Merkelsche Politik“ an. Rund 300 Antifaschist_innen aus unterschiedlichsten politischen Spektren wussten diese Instrumentalisierung des Mordes zu unterbinden – die ca. 20 AfD’ler mussten unter Polizeischutz ins Revier Nord verbracht werden.
Gefährlicher als dieser lächerliche Auftritt auf der Straße ist jedoch die zunehmende Verbreitung der Argumente der Rechtspopulisten in den sozialen Netzwerken – auch weit über ihr eigenes Wählerklientel hinaus. So wird eine rassistische Stimmung angefeuert, die sich potentiell in Gewalttaten gegenüber Nicht-Deutschen, Feminist_innen, Linken und anderen AfD Gegner_innen entladen könnte.
Wir wollen mit diesem Text deshalb die wichtigsten dieser Argumente widerlegen und aufzeigen was unseres Erachtens die einzig richtige Antwort auf sexuelle Gewalt und Vergewaltigungen darstellt: Ein radikaler und transnationaler Feminismus.
2. Die Argumente der Rechtspopulisten
Die Argumente der Rechtspopulisten sind simpel gestrickt: Ein überproportional hoher Anteil an allen in Deutschland ankommenden Flüchtlingen mache die Gruppe der jungen, alleinstehenden Männer aus. Die übergroße Mehrheit dieser jungen Männer komme zudem aus islamischen Staaten, hätten demnach eine andere – sich von der deutschen fundamental unterscheidende – Kultur, die sich durch Frauenverachtung, religiöse und kulturelle Intoleranz und archaische, gewalttätige Umgangsformen auszeichnen würde. Dementsprechend seien sie nicht in der Lage, sich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu integrieren und würden zu einem hohen Prozentsatz straffällig. Ihre Einreise sei also nach Möglichkeiten zu verhindern und die schon hier Lebenden müssten schnellstmöglich des Landes verwiesen werden.
Diese Schablone wurde nun auf den Fall Maria L. angewendet und scheinbar passt auch alles: Der Täter ist ein junger Flüchtling aus Afghanistan – einem Land von dem die meisten Deutschen nur wissen, dass es dort radikale Islamisten (Taliban) gibt und das die Bundeswehr dort „ihre“ Freiheit durch Brunnenbau verteidigt. Er entstammt also einer Gesellschaft, die stark durch den politischen Islam geprägt und in der die Missachtung von Frauenrechten trauriger Alltag ist. Und auch ein anderer Topos scheint durch den Fall bestätigt zu werden: Der des undankbaren Flüchtlings. Wurde dem Mörder hier doch von „uns“ Asyl gewährt und war er doch bei einer deutschen Gastfamilie untergebracht, also erst einmal materiell abgesichert. Trotz dieser ganzen Wohltaten schritt er zum Mord an einer jungen deutschen Frau, verging sich also an der deutschen Gastfreundschaft.
Die Rechtspopulisten und ihre AnhängerInnen schlussfolgern nun, dass, um solche Taten zukünftig zu verhindern, es nötig sei, die Grenzen gegenüber Geflüchteten zu schließen und jene, welche sich schon in Deutschland aufhalten, schnellstmöglich in ihre Herkunftsländer abzuschieben. Sie wollen das Asylrecht massiv einschränken, die rechtlichen Bestimmungen hinsichtlich DNA-Entnahme und -Auswertung lockern und die Polizeikräfte aufstocken. Zusammenfassen lässt sich dieser Gedankengang in der von AfD’lern immer wieder getätigten Aussage, dass „wenn Merkel im Sommer 2015 die Grenzen nicht geöffnet hätte, Maria L. jetzt noch am Leben wäre“.
In Hinsicht auf diese Argumentation betonten sowohl die Lokalredaktion der Badischen Zeitung, Freiburgs Oberbürgermeister Salomon und die Bundeskanzlerin in ihren Statements zum Fall, die zentrale rechtsstaatliche Kategorie der individuellen Schuld und warnten vor unzulässigen Verallgemeinerungen auf alle Geflüchteten. Die Rechtspopulisten konterten dies mit dem Hinweis darauf, dass Flüchtlinge in der Kriminalitätsstatistik überrepräsentiert seien und der Fall eben kein „Einzelfall“ wäre.
3. Das Problem: Patriarchat
Beide Annahmen gehen jedoch an der Sache vorbei. Zwar stimmt es, dass jede schwere Gewalttat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein Einzelfall ist, doch die Täter bewegen sich nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern sind deren Produkte. Die unzähligen Einzelfälle von Gewalt gegen Frauen sind über eine gesellschaftliche Struktur miteinander verbunden, die immer wieder männliche Subjekte hervorbringt, die in steter Regelmäßigkeit Gewalt gegen Frauen ausüben. Diese Struktur ist das Patriarchat, die strukturelle Herrschaft von Männern über Frauen. Das Patriarchat ist eine globale Struktur: In allen Weltgegenden werden Frauen durch Männer unterdrückt und ausgebeutet. Was sich von Region zu Region unterscheidet ist der Grad dieser Unterdrückung. In diesem Sinne haben die Rechtspopulisten auch recht, wenn sie sagen, dass in muslimisch (genauer gesagt durch den politischen Islam) geprägten Gesellschaften wie Afghanistan, Frauenunterdrückung weiter verbreitet ist als in bürgerlich-demokratischen Gesellschaften wie Deutschland. Aber auch hier in Deutschland bekommen Frauen weniger Lohn für die gleiche Arbeit, arbeiten häufiger im Niedriglohnsektor, werden
Opfer von sexuellen Übergriffen und häuslicher Gewalt. Es wird Frauen immer noch nahegelegt sie seien das „schwächere“ Geschlecht und immer noch werden ihnen meist Zuständigkeiten wie Kochen, Putzen und Kindererziehung zugeschoben. Die meisten Vergewaltigungen in Deutschland werden nicht durch Fremde, sondern durch nahe Bekannte, (Ex-)Partner oder Familienangehörige begangen. Und immer noch wird oft den betroffenen Frauen – wenn sie es wagen, darüber zu berichten, was ihnen angetan wurde – eine (Mit-)Schuld an der Tat zugeschoben. Dies festzustellen ist keine Relativierung des Schreckens, den viele Frauen in islamischen Ländern Tag für Tag durchleben müssen, es verdeutlicht aber die globale Dimension des Herrschaftsverhältnisses Patriarchat. Die “Lösungen”, die von den Rechtspopulist_innen der AfD angeboten werden, machen deutlich, dass es ihnen in keiner Weise um die Bekämpfung der Ursache der Gewalt gegen Frauen – das Patriarchat – geht, sondern sie gänzlich andere Motive antreiben: Nationalismus und Rassismus. Denn worauf laufen die „Lösungen“ der AfD hinaus? Durch die Schließung der Grenzen, die Abschiebung der nach Deutschland Geflüchteten und die Verschärfung des Asylrechts werden keine Gewalttaten gegen Frauen verhindert. Menschen, die vor Armut, Perspektivlosigkeit, Krieg und Verfolgung nach Deutschland fliehen, den Zutritt gewaltsam zu verwehren ist vielmehr ein Programm der organisierten Unmenschlichkeit. Es gibt keinen vernünftigen Grund – solange man die Vernunft nicht auf ihre rein instrumentelle Seite hin verkürzt – die Zufälligkeit des Geburtsortes zum Kriterium zu machen, ob jemand in einem Land leben darf oder nicht. Das unverdiente Privileg, über den Aufenthalt eines anderen Menschen entscheiden zu können, ist einzig und allein Resultat einer Geschichte der Gewalt, bei der man das Glück hatte, durch einen Zufall zu einem Bürger eines Staates gemacht zu werden, der in einer relativ frühen Phase in den kapitalistischen Weltmarkt eingetreten ist.
Das Auftreten von sexualisierter Gewalt einer “anderen Kultur” anzulasten ist ein rassistisch-essentialisierendes Argument – das zudem noch von dem eigenen Sexismus ablenken soll. Geflüchtete Männer aus islamischen Gesellschaften sind ihrer kulturellen Prägung nicht willenlos ausgeliefert. Sie sind – ebenso wie Männer hierzulande – denkende Subjekte, die ihre Verstrickung in Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse reflektieren und verändern können. Dazu brauch es eine feministische Kritik an diesen patriarchalen gesellschaftlichen Verhältnisse, eine kritische Reflexion von Männlichkeit, eine emanzipatorische Bewegung, die auch in unzugängliche Strukturen intervenieren will. Das wird nicht immer gelingen – daher braucht es auch einen militanten feministischen Selbstschutz von Frauen* für Frauen*.
Die plötzliche Entdeckung und Verteidigung von Frauenrechten durch die AfD ist keine fortschrittliche Entwicklung der rechtspopulistischen Partei, sondern eine medienwirksame Darstellung des chauvinistisch-nationalistischen Reflexes, “kollektives Heimatfleisch vor fremder Entwertung zu schützen.” 3 Hier findet keine Solidarisierung mit Frauen statt, sondern deren erneute Objektifizierung. Keiner Rede wert sind der AfD tatsächliche Frauenunterdrückung in den Herkunftsländern der Geflüchteten, die Gewalt der geflüchtete Frauen durch Partner, Familie, Sicherheits- und Grenzpersonal auf der Flucht und im Ankunftsland ausgeliefert sind, genauso wenig wie der Großteil sexualisierter Gewalt, die hierzulande stattfindet. Der Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen muss aber diese Bereiche betreffen und die Betroffenen unterstützen und einbeziehen, um wirksam und glaubhaft zu sein.
Nicht davon hat die AfD zu bieten. Im Gegenteil betont sie in ihrem baden-württembergischen Wahlprogramm die Rolle der Klein-/Kern-Familie (allein gedacht in der Konstellation Mann-Frau-Kinder) als „Keimzelle und Fundament der (deutschen) Gesellschaft“. Sie macht aktiv Werbung für die „Mutter-Vater-Kind“ Beziehung, will lebenslange Ehen fördern, die häusliche Erziehung (durch Frauen) und die Rolle der Mutter stärken. Die Rechtspopulist_innen positionieren sich dabei klar gegen Frauenrechte: Sie sind gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper und stehen Abtreibungen ablehnend gegenüber. Auch Promiskuität lehnen sie ab. Die Frau soll in ihrer Rolle als Mutter und Hausfrau aufgehen. Gelder und Lehrstühle an Universitäten für Frauen- und Geschlechterforschung sollen gestrichen, Frauenquoten und Gleichstellungsbeauftragte abgeschafft werden. Die Frau soll die Rolle einer »Gebärmaschine« einnehmen: In den eugenischen Träumen der AfD sollen Frauen für eine ausreichende Zahl an Kindern sorgen, um den „Fortbestand des deutschen Volkes zu sichern“. Klar ist: Das Thema Gewalt gegen Frauen ist den organisierten Antifeministen der AfD keine Silbe wert, solange die Täter keine Flüchtlinge sind!
Gewalt gegen Frauen entsteht nicht aus dem Nichts, sondern ist Produkt einer strukturell frauenfeindlichen Gesellschaft. Wer sie bekämpfen will muss den frauenfeindlichen Ideologien aller Couleur eine deutliche Absage erteilen: Sowohl dem politischen Islam, wie auch den neurechten Populisten der AfD. Der Kampf für die (Selbst-)Befreiung der Frau muss dabei transnational d. h. global geführt werden, eben weil das Patriarchat ein globales Herrschaftsverhältnis ist.
Das Problem heißt Patriarchat, weltweit!
Für einen transnationalen, militanten Feminismus!
(1) So redete sich Schumacher auf der homophoben „Demo für alle“ in Stuttgart ziemlich publikumswirksame in Rage gegen Gender-Lehrstühle, die Millionen an Steuergeldern kosteten. Jährlich fehlten – laut ihm – Deutschland zum Fortbestand 400.000 Kinder, daher müsse man für „gesunde Familien“ kämpfen, für „gesunde Kinder“, für eine Zukunft des Landes. Das gehe nur mit einer Ehe aus Mann und Frau. Zudem stellte er auf dem AfD-Bundesparteitag Ende April 2016 in Stuttgart einen Antrag zur Aufnahme der Forderung nach einer Verschärfung der Abtreibungs-Regelung in das AfD Programm, welcher sogar den meisten AfD’lern zu weit ging.
(2) So tobte auf der Facebookseite der lokalen Badischen Zeitung (BZ) ein regelrechter Shitstorm. Die widerlichsten Kommentare hat die BZ selbst zusammengefasst: www.badische-zeitung.de/fall-maria-l-ei…
(3) So drückte Richard Schubert es treffend in seinem Artikel “Die Anmacher” aus, der 2016 in der Februarausgabe der Zeitschrift konkret erschien. www.konkret-magazin.de/hefte/id-2016/he…